se Yousufzai
Schönheit ist im Schach keine Sache des Geschmacks. Sie ist eine Sache des Könnens. Das Problem dabei: Wer verstehen will, was ein guter Zug darstellt, der muss selber sehr gut spielen können, um zu erkennen, was da überhaupt gespielt wird. Dann ist der Schritt nicht weit bis zur Kunst. Manchmal sieht man sich ein Gemälde an. Das Bild packt zu, wird aktiv, lässt den Betrachter nicht mehr los und der Betrachtende weiss nicht warum. Vielleicht erzeugt eine Unebenheit im Spiel die Spannung. Dasselbe geschieht im Schach. Es wird ein Zug ausgeführt, der alle fasziniert. Noch weiss niemand warum. Die grosse Kunst des Schachs, was Bewunderung und Staunen auslöst – wer vermag diese zu fassen?
Die Frage besteht weiterhin, ob ein gutes Spiel gehört werden kann? Man stelle sich an den Rand eines öffentlichen Schachs, schliesse die Augen und höre hin, wie ein Blinder, der auf der anderen Seite des Spielfeldes steht. Wird man das Gleiche hören wie dieser? Der ungeübte Hörer, also jener, der sieht, wird jenen, dem das Augenlicht genommen ist und der sich darum auf sein Gehör verlassen muss, beim Hören das Wasser nicht reichen können. Aber dennoch steht jener, der sieht, beim Hören nicht auf verlorenem Posten. Er kann auf eine Erfahrung zurück greifen, die jeder Mensch macht. Wach, nachts, verbunden miteinander über die Geräusche der Nacht, wird das nächtliche wach Liegen zu einem geteilten Erlebnis mit all jenen, die in der Nacht das Auge nicht schliessen können. Trotz des Augenlichts werden sie in der Dunkelheit nichts erkennen und darum in die Nacht hinein hören. Es besteht weniger ein Hören. Es gilt mehr ein Horchen. Auf die Geräusche, den Verkehr, den Wind, Laute, die trotz aller Denkanstrengung nicht zugeordnet werden können – wie eben beim schönen Zug, dessen Schönheit man nicht versteht, nur ahnt.