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Unter dem Tisch suchte er nach der Figur. Sie war nicht zerbrochen. Dessen war er sich sicher. So schlecht konnte der Zug nicht gewesen sein.

Wenn man mit sich selber spielt, verpasst man den Zug, der in den Bahnhof einfährt. So ist das. Alte Weisheit. Und kommt dann noch ein Anruf, so wendet sich die Situation in Chaos. Kunststück, das die Figur am Boden lag. Sie war, ansonsten stehend, der liegende Beweis dafür, dass es einen Anruf gegeben hatte.

Welm, Welm, was hast du wieder getan, mit dir kann man einfach nicht spielen. Ich weiss, du bist kein Spieler. Du denkst weiter. Aber trotzdem: Musste das wieder sein?

Die Figur am Boden, der an sich nicht notwendige Anruf und du – du bist wieder einmal in einer dieser lächerlichen Situationen. Ich werde kommen und erklären. Die Figur wird warten müssen.

Jenem, dem all das widerfuhr, heisst Kabar Extas. Er ist ein begeisterter Schachspieler. An diesem Tag hatte er seinen Freund erwartet. Um sich auf den Besuch vorzubereiten, stellte er ein Schachspiel auf. Er zog die Figuren aufs Geratewohl, was unüblich ist im Schachspiel, wo jeder Zug nicht ohne eine bestimmte Absicht ausgeführt wird.

Der Anruf hatte dazu geführt, dass Kabar Extas sein Spiel unterbrach. Dieses wurde aus der Zufälligkeit herausgerissen, die ein Spiel bestimmt, an dem nur ein Spieler beteiligt ist, weil er mit sich selber spielt.

Wenn jemand gegen sich selber spielt, entspricht es einer Farce; wenn der Spieler gegen sich selber denkt und meint, gegen sich selber zu spielen entspreche dem Spiel zu zweit, bei dem, wie im Schachspiel, eiskalte Berechnung das Denken der Gegner bestimmt, dann handelt es sich wirklich um eine Farce, ein Bubenstück, eine Posse, jedenfalls aber nicht um ein Schachspiel, das dem Schachreglement unterliegt und wo steht, dass es für ein Schach zwei Spieler braucht.

Hingegen hatte Kabar Extas die volle und feste Absicht, das Spiel mit eiskalter Berechnung aufzunehmen, das Welm nun durch welche Handlung auch immer in Gang gesetzt hatte. Er wollte dieses neue Spiel angehen, als handle es sich um ein Turnierspiel, in dem es nur eines gab: gewinnen.

Den Moment, in dem die Figur vom Brett über den Tisch auf den Boden gefallen war, konnte Kabar Extas nicht mehr bestimmen. Es war vermutlich nach dem Anruf gewesen.

Das Schachspiel hat es an sich, dass es nicht ohne weiteres, auch nicht durch einen Telefonanruf, unterbrochen werden darf. Muss das Spiel unterbrochen werden, dann lautet die Regel: Der Spieler muss, bevor er das Brett verlässt, den Zug ausführen, ohne die Figur zu berühren. Das heisst, er muss den Zug auf ein Papier schreiben und dieses in einen Umschlag stecken, der versiegelt wird. Auf diese Weise entsteht für keinen der beiden Gegner am Brett ein Vorteil.

Wie diese Regel einhalten, wenn man gegen sich selber spielt? Es nicht möglich, einen Teil von sich selber auszuschalten, damit der andere Teil ehrlich und redlich den für den wiederum ersten Teil unsichtbaren Zug aufschreiben kann. Das eigene Selbst kann nicht geteilt und auf Briefumschläge verteilt werden. Wie kann herbei geführt werden, dass der eine Teil von sich selber nicht weiss, was der andere Teil von sich selber tut und denkt. Während diesen Überlegungen musste es wohl zum Sturz der Figur gekommen sein.

Andere Spiele – wie etwa Karten- oder Glücksspiele – haben den grossen Vorteil, dass sie über keine Figuren verfügen, die umstürzen und dann auf dem Boden fallen können. Es kann vorkommen, dass ein Kartenspieler aus Unachtsamkeit eine Karte fallen lässt. Das hat aber nie den gleichen Effekt wie beim Schachspiel, wo sich die beiden Spieler in Kampfstellung gegenüber sitzen, Mensch gegen Mensch.

Kartenspiel ist ein Gruppenspiel. Die Spieler sitzen in einer Runde beisammen. Das macht das Spiel schon viel friedlicher. Und es gibt keine Figuren, die sich, wie im Schachspiel, schlagen. Die Karten werden vielmehr zusammengeführt und die beste sticht. Zwei Spieler spielen gemeinsam gegen weitere. Diese Arbeitsteilung nimmt dem Kartenspiel jene eiskalte Berechnung, mit der ein Schachspieler den anderen nieder ringen will. Kartenspiele eignen sich darum besonders für das gesellige Beisammensein.

Der Kartensatz kennt in einigen Zonen Europas zwar Ecken, aber nie Kanten, an denen man sich anschlagen und weh tun kann. Wobei darauf hingewiesen werden muss, dass im deutschen Sprachraum Kartensätze ohne Ecken und Kanten weit verbreitet sind. Aus dem französischen Karo wird im deutschen Blatt eine Eichel oder ein Schellen, die Ecke ist weg, die Ecke wird abgerundet, die Stiche werden weniger schmerzhaft.

Das Kartenspiel ist aber nicht Kabar Extas Spiel. Ihm behagt die Klarheit des Schachspiels. Unklar war nur, warum die Figur vom Brett gefallen war. Wie sollte er weiterspielen? Die Figur ist gefallen. Das Spiel ist aus. Diesen Zug hatte Kabar Extas im Spiel gegen sich selber nicht vorausgesehen. Und es lag auch keine Absicht darin, im Spiel gegen sich selber diesen Zug zu übersehen. Denn Kabar Extas hatte überhaupt keine Lust, Welm zu begegnen, jetzt nicht und auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt, weil dieser mit Bestimmtheit eine Dummheit begangen hatte.

Das Schicksal spielt dem Erdenmenschen zuweilen übel mit, besonders wenn er sich diese Weisheit nicht ständig vor Augen hält. Aber wer tut das schon? Der Mensch will Schach spielen. Wenigsten Kabar Extas. Welm war also wieder in der Stadt. Er hatte eine grosse Geschichte hinter sich, eine Geschichte, die sich zudem weiter entwickelte. Kabar Extas war in dieser Beziehung wenig erfolgreich. Über Welm liessen sich viele Geschichten erzählen. Jene Kabar Extas spielten sich auf dem Brett ab. Er hatte keine Vergangenheit, von der er zehren konnte.

Fortsetzung

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