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Oder war die an ordentlichen Gedankenbahnen fixierte Planungsarbeit bereits vor dem Baustart der mehrdimensionalen Anlage grundgelegt? Die korrekt gezogenen Steinreihen somit die greifbare Folge und das konkrete Abbild eines gewissenhaften und beharrlichen Trainings eines deduktiven Denkens? Hatte der Urmensch, der die Linien in Carnac zog, bevor er sich an die physische Arbeit machte, erst eingehend Ordnung in seinen Gedanken geschaffen?
Für den handwerklichen Bau der mächtigen Alignements erwies sich eine ungeheuer kompakte Organisation als unumgänglich. Die damalige Gesellschaft musste sich notwendigerweise solcherart formen und bereit halten, dass das angestrebte Unternehmen zu einem glücklichen Abschluss gebracht werden konnte. Der Einzelne folgt seinem Instinkt. Die Gemeinschaft muss sich absprechen.
Die Steine zu sammeln und aufzustellen war das Eine; das Andere, die möglicherweise etwas widerwilligen, skeptischen einzelnen Mitglieder jener eingeborenen Stämme dahingehend zu bewegen, dass sie nicht wie Jäger, Sammler oder Fischer für einmal ihrer sicheren Spürnase vertrauensvoll folgten, sondern sich zu einer tollen gesellschaftlichen Leistung zusammen fanden, die weit über das listenreiche oder auch rohe Erjagen von hohen Mammuts und baumstarken Bären zur unentbehrlichen Nahrungsbeschaffung hinaus ging.
Die stolzen Alignements sind dem Bau einer neuen Stadtform vergleichbar, welche mit der vertrauten Ordnung des einschliessenden Kreises bricht: Keine Ringmauer, keine Einkesselung von Tieren, sondern Öffnung. Heute kann man sich kaum ein Bild davon machen, was es für das Urvolk von damals bedeute, sich vom Ring, dem Thing, zu lösen. Wurde ursprünglich ein Menhir möglicherweise für das steinerne Sinnbild eines einzelnen Wesens verstanden, das auf diese rudimentär künstlerische Art veredelt und geadelt wurde, so schmolz dessen herausragende Wertschätzung erheblich, indem diesem einzelnen ausgesuchten Kultgut weitere hinzu gesetzt wurden.
Der identitätsstiftende Mittelpunkt eines die anderen Stammesmitglieder überragenden Ichs löste sich auf. Dem Punkt folgte die richtungsweisende Linie. Nicht ohne Scheu darf jener Moment, als die einprägsamen Linien von Carnac in ersten Überlegungen sinnstiftender Vordenker ihren planerischen Anfang nahmen, als historischer Augenblick bezeichnet werden. Zu eben diesem beschriebenen bedeutungsvollen Zeitpunkt setzte die bis dahin zentrumsorientierte Volksmasse das herrschende Individuum als alles dominierenden Sippenherr in die gut geordneten Reihen der übrigen Sippschaft zurück. Diesem denkwürdigen Vorgang widmete das sich neu orientierende Volk ein gewaltiges Denkmal, indem es mit einem steinharten Bild nachvollzog und zeigte, dass es ansehnliche Aufgaben und aussergewöhnliche Herausforderungen gibt, die nur die wohltemperierte Gemeinschaft zu lösen vermag, wie etwa den dreisten Bau der riesigen Alignements-Anlage. So etwas nennt sich soziologische Entwicklung.