pi Sitte
Wenn er der Jugend endgültig entsteigt, der Mensch, und langsam zu den so genannten „Leuten“ gehört, öffnen sich ihm ganz neue Welten, die er aufdecken kann, solche, von denen er als heranwachsendes Kind rein keine Ahnung hat: Neue Genüsse, Gerüche, Düfte. Nichts gereicht den frisch geöffneten Nasenflügeln mehr, als auf geschnittenen und gesammelten Weidenzweigen geringeltes Fleisch, das in der freien Wildbahn gebraten wird, mit grossem Appetit zu verschlingen, wenn sich die Eltern fernab irgendwo aufhalten, vielleicht zu Hause; um das Lagerfeuer kauernd vom wippenden Ast zu beissen, was vor den leuchtenden Augen auf und ab schwingt, den unruhigen Augen, abgelenkt durch andere Augenpaare, welche ebenfalls über schmatzenden Mündern im flackernden Schein der Flammen von Weidenzweigen Gebratenes klauben und kauen. Anders als am Esstisch zu Hause ziemt sich das genussvolle, lautmalerische, unkorrekte, laute Schmatzen im Wald, auf der Wiese, am Rande des Feuers als ultimativer Ausdruck durchbrochener Ordnung und gelebter Freiheit.
Ist die neue Freiheit erstmal entdeckt, geht die lustvolle, jugendliche Jagd erst richtig los. Der Tod rückt meilenweit in die Ferne. Die Jagd verliert und gestattet keinen bremsenden Gedanken an den Tod. Das muntere, aufstrebende Leben drängt als ein fortwährendes Vorwärts, ausgesetzt einem ständigen Lernen, in die ganz bestimmte Richtung des selber festgesetzten Zieles. Ab und zu unterbricht ein unvorgesehenes Scheitern den schnellen Lauf in die weite Zukunft. Der dumme Misstritt wird schnell weggesteckt. Der junge Erwachsene muss auf Trab bleiben, will er nicht vom schmalen Trittbrett fallen, das den vielversprechenden Einstieg ins gesellschaftliche Leben, in den lockenden Erfolg gewährt.
Mit dem zunehmenden Alter werden die zuerst weniger kühnen, dann kühneren Ausflüge grösser. Die neuen Flächen, die abgedeckt werden, münden in weitere Erkenntnisse wie heisse Herdplatten, an den man die Finger verbrennt, volle Badwannen, die überlaufen, und viel zu heiss servierte Speisen, an denen man sich in der Eile Lippen, Zunge und Gaumen verletzt. Das sich allmählich ordnende Leben nimmt an lustgetragener Geschwindigkeit zu, einer aufgezwungenen Geschwindigkeit, der ein einzelner Mensch oft nicht mehr zu folgen vermag, er sich darum mit anderen verbindet. Die neue Geschwindigkeit dreht als eigenwilliger Selbstläufer immer mehr auf, bis sie den frenetischen Highway-Star-Rhythmus erreicht, der schlicht Sex heisst und jeden Menschen zu lusterfüllten Höchstleistungen antreibt, bis sich diese in der absoluten Ästhetik der selbstzufriedenen Erschöpfung auflöst als das vollendete Bild der totalen Hingabe. Die geschmeidigen Bewegungen von wiegendem Becken, sich windendem Bauch und kämpfenden Beinen folgen während der wollüstigen Verwirklichung dieses überzeugenden, perfekten Gemäldes einem durch die Jahrtausende erprobten Lauf, wobei anmutigste Variationen zugelassen sind, aber nicht neu erfunden werden.
Das Fussballspiel kennt ein ähnliches „Vor und Zurück“. Die Teamspieler entwickeln bei dieser Aktion jedoch nicht die gleiche Intensität, wie sie von einem ineinander verschlungenen, sich verausgabenden Liebespaar praktiziert und gelebt wird, indem sich jeder und jede einzeln verausgabt, um zum gemeinsamen Ziel zu kommen. Die Jagd ist eine Eroberung, die Eroberung ein Ziel.