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kr Blut

„Das geht mir völlig auf. Ich bin einverstanden mit dir“, monierte Kaspar Giger und schob die leere Olivenschale beiseite. „Denn dort“, fuhr dieser weiter, sich und Otto Wenger ein Glas nachschenkend, „dort, wo so viel zitiert wird und zwar ausgerechnet über Ordnung, da muss Inhalt sein, da muss sich etwas verbergen. Es entspräche sonst keiner Ordnung, wenn man einfach mir nichts, dir nichts Zitat an Zitat über die Ordnung aneinander reiht. Das Zitieren wäre ohne Ordnung, wären Unordnung wie ein Berg von Zitaten, die aufgeschrieben auf losen Zetteln auf einem Tisch liegen. Ein solcher Haufen muss geordnet werden, sonst sind die Zitate ohne Zusammenhang und damit ohne Sinn. Deine Zitate haben aber einen Inhalt, und darum können sie geordnet werden. Da geb ich dir recht: Zwischen den Zitaten muss was sein, wenn du mir derer so viel auftischst. Aber ich denke: Einzig die Ordnung als Bindeglied genügt nicht als Kitt, um ihnen als Ganzes Sinn zu geben. Da muss noch etwas Anderes sein, das sich nicht in Zitaten versteckt.“

Die Sucht nach Ordnung wird nicht durch das inkonsequente Aneinanderreihen von Zitaten befriedigt. In der Vielzahl an Zitaten aber findet die Sucht den Stoff, der sie befriedigen kann. Erst die Vielzahl der verschiedenen Zitate macht es nötig, dass die Ordnung auf dem Platz erscheint.

„Donnerwetter. Gleich zwei Sätze nacheinander nicht als Einsatz! Das Zitieren verleiht deinem Geist Flügel. Du steigerst heute Abend den Einsatz. Das kann noch interessant werden.“

Ein einzelnes Zitat über die Ordnung benötigt noch keine Ordnung. Es steht ausserhalb jeglicher Übersicht. Kein Rang muss ihm gewährt werden. Es kann nicht in eine Rangordnung gesetzt werden. Nötig sind mindestens zwei Zitate. So stellt sich wenigstens eines über das andere. Sie können auch nebeneinander gesetzt werden. Dann sieht man diese als gleichwertig an. Wie bei einem Paar, einem Menschenpaar. Ohne Ordnung zwischen den beiden läuft schnell nichts mehr. Wahre Liebe hält das Paar auf gleichwertiger Ebene. Schmilzt der Wille zur Liebe, entsteht Hierarchie. Die Ordnung setzt ihre Hand auf das Paar. Die Rangordnung, ihre bestimmende Macht tritt in Kraft. Wie sieht das bei den Zitaten aus? Die Einzahl hilft nicht weiter. Es müssen mehr Zitate her.

„Du kannst mir ja die Zitate Stück für Stück liefern, so tropfenweise ins Ohr träufeln. Olive für Olive oder vielmehr wie Perlen: Perle für Perle, die in meinen Geist dringt und mir so das Verständnis für dein Steckenpferd weckt. Mit den klugen Mitbringseln aus deinem reichhaltigen Wissensvorrat kannst du so auch meinen Wissensdurst löschen. Jede Perle soll mir eine Olive sein, die ich zu meinem Vorrat lege. Olive für Zitat, Zitat für Olive. Das ist sicher auch ein Zitat, was ich gerade gesagt habe. Nur weiss ich es nicht. Du wirst es mir noch bringen.“

Der weltweite Vorrat an Zitaten ist immens. Die Oliven, genossen wie Zitate, würden dir ganz gehörig den Magen verderben. Der Verstand würde davon ganz krank. Er könnte keine Zitate mehr aufnehmen. Ich will dir aus dem Schatz schöpfen. Aber in Massen will ich aus der Masse schöpfen. Bekannte und weniger bekannte Autoren haben darin ihre Spur hinterlassen. Plötzlich tauchen sie aus dem Buchstabenwald auf und werden für einige Zeilen sichtbar. Wie gekommen, so verschwunden – so lautet ihr trauriges Los, wenn die Ordnung sich ihrer nicht annimmt. Der Aphoristiker Daniel Mühlemann stellt nämlich nüchtern fest: „Einige schaffen Ordnung, sobald sie die Übersicht zu verlieren beginnen, andere unterlassen es, weil sie die Übersicht schon längst verloren haben.“ Ernst Reinhardt, ebenfalls Aphoristiker, fordert darum: „Wir brauchen eine Ordnung, die nicht der Ruhe bedarf.“ Ihm antwortet aus dem Zitatenrepertoire der Dichter Esaias Tegnér beipflichtend: „Ordnung ist die Hebestange der Arbeit, welche mit Leichtigkeit die schwersten Lasten hebt; die Unordnung aber ist wie eine Uhr ohne Zeiger: sie geht und geht und doch weiss keiner, wie spät es ist.“ Ihm antwortet, aus meiner Sicht wenig überzeugend, der Autor Wolfgang Mocker: „Peinliche Ordnung gibt es erfahrungsgemäss nur auf Schreibtischen, auf denen nichts gewälzt wird.“

Fortsetzung

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