am Staccato
„Durch meine Wohnung fährt kein Auto hindurch“, sagte Kabar Extas mit Bestimmtheit und nippte an seinem Glas. „Nur dort, wo Welm ist, fahren Autos, scheinbar, man weiss nicht wohin. Ich mag ihn nicht bei mir haben. Für meine Schachfiguren ist er eine Gefahr. Ich bin sicher, er wird es noch fertig bringen, dass auf einmal ein Auto durch meine Wohnung fährt. Das trau ich ihm zu. Das Beste wird es sein, ich gehe gar nicht hin, auf diesen Posten. Das wird meinen Figuren bekommen.“
„Glaub ich nicht. Welm hat Fernwirkung. Eine Figur ist bereits vom Brett. Du hast nur noch einunddreissig Figuren Reserve.“
„Es wäre wenig phantasievoll von dir, wenn du mich jetzt mit einem Abzählreim zu erpressen versuchst, um mich auf diese unfreundliche Weise hinaus zu komplementieren.“
„Abzählen ist kein Kompliment! Du weisst bestens, dass ich diese Art von Ordnung nicht liebe. Sie ist zu sichtbar. Die Ordnung, die ich liebe, fliesst zwischen den Fingern hindurch in den Zettelberg hinein. Dort fühlt sie sich wohl und lässt sich aus den Zetteln nicht so schnell wieder hinaus treiben. Meine Ordnung ist organisch. Aus diesem Grund habe ich deinetwegen meine Zettel auch nicht auseinander genommen. Die Ordnung hätte entfliehen können. In diesen Zetteln ist die Ordnung. Auf einem leeren Tisch kann sie nicht sein, denn dort gibt es nichts, was eingeordnet werden kann. Wie vor dir auf deinem Tisch. Mit nur einem Glas lässt sich keine Ordnung herstellen. Ein Glas allein gibt noch keine Ordnung her.“
Ida, die Tresendame, war sich derartige Gespräche von den beiden gewohnt. Sie hatte sich an der Bar zu schaffen gemacht und brachte Flaschen in der Spirituosenorgel in Ordnung. Sie stellte die Flaschen nicht um, sondern prüfte lediglich deren Inhalt. Jede Spirituose stellte sie an ihren Platz zurück. Dann verschwand sie in einen Nebenraum.
„Statt der Ordnung solltest du von Unordnung reden, was deine Zettel angeht. Wenn du sagen würdest, auf deinem Tisch ist Unordnung, weil die Ordnung, also du, noch daran ist, Ordnung zu machen, dann würde ich dir das abnehmen, dir, als Ordnung, die wird. Aber so, einen Haufen Zettel – nein, das ist nicht Ordnung.“
„Du wirst das nie begreifen. Du bist zu sehr im Schachschema verfangen. Sicher, das Schachspiel bietet viele Möglichkeiten, Ordnung zu halten. Während des Spiels sind diese schier unbegrenzt. Bei den Lösungsmöglichkeiten, vielmehr in der Auswahl an Zügen, die gespielt werden können, bietet sich eine derart grosse Palette an Ansätzen für neue Vernetzungen von Schachzügen, dass schon mancher darüber verrückt geworden ist, weil ihn der Entscheid, was zu ziehen, in den Wahnsinn getrieben hat.“
„Im Schach herrscht Ordnung.“
„Und auf meinem Tisch nicht! Wenn du nicht auf den Posten müsstest, würde ich dir eine Einführung in die Tischordnung geben, meine Tischordnung. Meine Zettel nehmen an einem Gastmahl teil. Jedes Gastmahl hat eine Ordnung, eine Sitzordnung, die streng eingehalten werden muss. Werden die ungeschriebenen Regeln – im Falle meiner Zettel sind es die unsichtbaren Regeln – nicht eingehalten, dann, und das garantiere ich dir, wird die Tischgemeinschaft ihre Runde, den Abend, nicht schaffen. Dann wird es nur Krach und Durcheinander geben und der Tischrunde kannst du ade sagen, und das nur, weil die Tischordnung nicht eingehalten wurde. Die werden sich in die Haare geraten, bevor das Hauptgericht überhaupt aufgetischt ist oder dann vor Langeweile, weil aus Trotz über die uneingehaltene Ordnung niemand spricht, von den Stühlen fallen, so dass das Hauptgericht überhaupt nicht aufgetragen werden muss. Halte ich die Zettel auf dem Tisch nicht in Ordnung, dann wird ihnen genau das widerfahren, was mit der Tischgemeinschaft geschieht, die sich nicht an die ungeschriebenen Regeln der Tischordnung hält.“
„Die Zettel würden zu Boden fallen.“
„Wenigstens einer, wie bei dir, Kabar, und ich, ich, Ida, würde auf dem Boden herum kriechen, und versuchen, diesem Zettel wieder Herr zu werden. Der Ordnung sei dank, dass dem nicht so ist und wir in Ruhe unsere Drinks trinken können, in denen keine Vitamine und kein Zucker steckt, die eingeordnet werden müssten.“
„Wie soll das aufgehen? Auf diesem Tisch ist nur mein Glas und darum keine Ordnung, weil ein Glas nicht genügt, um Ordnung herzustellen. Und trotzdem trinken wir in Ruhe. Ida, du schummelst auf irgendeine Art. Du hast eine Ordnung geschaffen, der du folgst und welche dir, aber nicht mir, einen bestimmten Freiraum gewährt. Du nützest sie aus, um mich zum Narren zu halten.“
„Nein, das wäre nicht in Ordnung. So einer bin ich nicht. Ich meine es ehrlich mit dir. Und wenn dich einer hinhält, dann bist du es selber. Ich muss nicht auf den Posten wegen dem Auto und Welm. Ich halte mit meinen Zetteln Frieden. Sie fallen nicht wie deine Schachfiguren vom Brett auf den Boden und verschwinden dann wer weiss ich wohin. Ich bin, und das musst du mir zugestehen, ein sehr ordentlicher Mensch.“
„Ja, das bist du. Du hast mich eben daran erinnert, dass ich unterwegs bin auf den Posten. Und ich sitze hier. Wie konnte das nur geschehen?“
„Ja, ich sehe, du bist unterwegs, kommst vorwärts, langsamer als eine Schnecke. Dein Hinterteil klebt auf einem Stuhl fest. Nicht an, aber auf. Hiesse es an, dann würde das heissen, du steckst fest und kannst nicht weiter, ausser, du lässt den Hosenboden als Bezahlung zurück. Auf bedeutet hingegen, dass du dich mitsamt Hosenboden erheben kannst, um zu gehen, und den Stuhl dabei dort stehen lässt, wohin er gehört, nämlich in dieses Lokal.“
Ida tauchte hinter der Bar wieder auf. Sie hatte von hinten drei neue Flaschen geholt, die sie nun in einem Schrank neben dem Bierausschank verstaute. Dann begab sie sich nach draussen, auf die Strasse.
„Ordnung ist in allen Dingen, nur nicht in deinem Kopf und auf deinem Tisch. Was redest du so viel! Du überdeckst, dass auf deinem Tisch keine Ordnung ist und du einfach nicht dazu kommst, solche herzustellen. Die Zeit rennt davon. Meine Güte, wo bin ich sitzen geblieben, was ist für Zeit, ist der Posten noch offen? Ich muss mich sputen, alles wegen deiner Zettel. Sie haben eine geheime Macht. Ihrer wirst du nicht Herr. Siehst du, du hast keine Ordnung. Hättest du solche, dann wäre ich schon lange wieder unterwegs, und die Zettel hätten mich nicht so lange hingehalten. Solches passiert nur, wenn man keine Ordnung hat.“
„Du musst dich wahrlich sputen. Der Posten wird bald schliessen. Und wenn du nicht vor der Postenschliessungszeit dort bist, dann wird man Polizisten nach dir aussenden, die dafür sorgen, dass du das nächste Mal beizeiten auf dem Posten bist. Strafe muss sein, wenn man nicht zur Zeit auf dem Posten ist.“
„Ja, ich werde mich auf den Weg machen. Dafür bin ich ja auch aufgebrochen, nämlich, um mich auf den Posten zu begeben, wegen Welm. Und jetzt sitze ich einfach so hier und trinke. Das kann nicht in der Absicht der Polizei liegen. Wie konnte das nur geschehen, dass ich noch hier bin? Es gibt Fragen, die man sich nicht stellen darf, sonst wird man verrückt, wie solche nach dem Hier–sein und dem Ziel davon. Existentielles Hinterfragen des eigenen Seins. Das hat man davon, wenn man sich vom Schachspiel trennt und sich auf den Weg macht, um auf den Posten zu gehen, statt aber dort hin zu gehen, sich mit dir einlässt. Das Reden mit dir ist kein Schachspiel. Es ist ohne Ziel und führt nirgendwo hin. Das ist deine Ordnung: kein Ziel. Aus dem Grund sitze ich noch hier. Deine Ordnung macht keinen Sinn. Daran kann man verzweifeln, ich zum Beispiel, Schachspieler, der Start, Aufbau und Endspiel kenne und darum klar denken kann. Du hingegen beherrschst die Kunst, einfach dahin zu reden und zu sitzen und nennst es Ordnung. Ob einer solchen Einstellung kann man verzweifeln. Und der Schluss davon: Ich sitze hier und bin nicht den Weg gegangen, den ich muss.“