al Schachtel 3
„Ja, Ida, so einfach ist es mit Welm nicht. Er hat sich an Regeln zu halten. Ich sollte ihm das Prinzip des Schachspiels einbläuen, das letztlich auf dem Prinzip vom Einhalt von Regeln beruht. Kein Schachspiel ohne Regeln. Wenn ich Schach spiele, kann ich die Figuren nicht wann ich will und wie ich will führen. Welm wird vermutlich gegen eine als ganz normal geltende und durchaus vernünftig erscheinende Regel verstossen haben. Und jetzt sitzt er. Soll er doch! Was habe ich damit zu tun? Es brauchen nicht alle immer gleich zu rennen, wann er will oder wie es gerade seiner Laune entspricht.“
„Kabar, schrei die Ida nicht an! Du regst dich auf. Verstehe dich aber. Würde ich mich auch, wenn ich so wie du auf den Boden gehen müsste.“
„Das tu ich nicht, und ich reg mich nicht auf.“
„Kabar, du musst zur Polizei?“
„Das muss ich in der Tat und dies wegen dieses Deppen Welm.“
„Ist es etwas Ernstes? Ist es wegen des Autos?“
„Ich weiss es nicht und will es gar nicht wissen und fühle mich vollkommen glücklich, solange ich es nicht weiss. Ich habe mein Schach – und im Spiel herrscht Ordnung. Was braucht mir dieser Welm dazwischen zu kommen?“
„Das ist es eben: die sichtbare und die unsichtbare Ordnung. Auf dem Brett hast du die sichtbare Ordnung. Auf meinem Tisch ist die unsichtbare Ordnung. Das ist das Leben. Im Leben ist Ordnung. Es ist völlig in Ordnung, dass die Polizei dich aufbietet. Daran stösst du dich nicht, Kabar. Du willst hingehen, bist auf dem Weg dahin. Und doch stösst du dich daran. Du bist noch nicht dort, sondern hier. Das entspricht der unsichtbaren Ordnung auf meinem Tisch. Ich habe geordnet, was in dir vorgeht, und all die Widersprüche aufgetischt, sodass sie eingeordnet werden können und du dich, durch Ordnung beruhigt, wieder auf den Weg machen kannst. Wir haben ausgetrunken. Wir bestellen noch eine Runde, und dann musst du gehen. Die Polizei verzeiht jenem nicht, auf den sie warten muss.“
„Es wird in der Ordnung der Dinge liegen, dass wir noch eine Runde bestellen. Und es wird in der unsichtbaren Ordnung der Welt liegen, dass ich mich dann, wenn wir ausgetrunken haben werden, aufmachen werde, zu Welm.“
„Ordnung – ob sichtbar oder unsichtbar – ist das Leben. Ob sichtbare oder unsichtbare, darauf kommt es nicht an. Man muss mit offenen Augen durch das Leben gehen, dann sieht man alles, so, wie ich auf meinem Tisch alles sehe und darum einordnen kann.“
Ida öffnete eine weitere Flasche Mineralwasser und stellte dann den Nachschub vor Kabar Extas und vor den Verzettler, mitten in die Zettel hinein, so wie beide Idas es sich gewohnt waren.
„Ordnung ist das, was du auf dem Tisch machen könntest. Dann wüsste ich auch, wohin ich das Glas stellen kann, ohne dass davon deine Zettel nass werden, wenn es umfallen sollte.“
„Lass es stehen, wo es steht. Die Ordnung stört es nicht. Kabar hat auf dem Tisch, nimmt man ihm das Glas weg, nichts. Und stellt man in dieses Nichts ein Glas hinein, so fällt es nicht ins Nichts, sondern bleibt stehen, so dass Kabar danach greifen kann. Genauso verhält es sich mit meinem Tisch. Du meinst wie Kabar, auf meinem Tisch wäre keine Ordnung. Aber, wie du siehst, Ida, ist da Ordnung, sonst würdest du das Glas, das du eben auf den Tisch gestellt hast, nicht mehr finden. Die Unordnung zeichnet der Umstand aus, dass man nichts mehr findet. Mit der Ordnung verhält es sich genau gegenteilig. Ich denke, das ist der Beweis dafür, dass auf diesem Tisch Ordnung ist.“
„Das Glas sehe ich, die Ordnung jedoch nicht.“
„Auch dein Blick wird sich erhellen. Es braucht seine Zeit, bis der Durchblick durch das Dunkel von dem bricht, von dem man meint, man sehe es nicht. In dem Fall handelt es sich um die Ordnung aller Dinge, die auf meinem Tisch gewahrt ist.“
„Räum auf, dann sehe ich, dass du Ordnung gemacht hast.“
„Ja, Ida, das ging daneben! Ida lässt sich von deinem Ordnungssinn nicht täuschen. Eigentlich hat sie recht. Aus deinen Zetteln kann man nicht klug werden, wie viel Ordnung du auch in sie hinein steckst. Dass Ordnung in ihnen ist, will ich nicht bestreiten. Aber ich sehe sie nicht, ich erkenne sie nicht, auch wenn ich mich anstrenge; nach wie vor nicht. Und nun ist Welm dazwischen gekommen, so dass ich mir nicht die Zeit nehmen kann, um deiner Ordnung auf den Grund zu gehen, indem ich die unsichtbare Ordnung auf deinem Tisch sichtbar werden lasse. Durch meine Beschreibung. Und jetzt frag ich doch nach: Weisst du etwas über Welm und warum ich auf den Posten muss? Hat es mit diesem Auto zu tun?“
„Er wird es in die Mauer gefahren haben!“, sagte Ida, die Tresendame.
„Welche Mauer?“
„Ah, das weiss man nicht.“
„Er wird es auf einem Fussgängerstreifen parkiert haben. Er wird einem anderen Wagen hinten rein gefahren sein. Was weiss ich? Es gibt viele Möglichkeiten, was man mit einem Wagen tun kann. Wenn man viele Wagen hat, lässt sich damit Ordnung herstellen. Ich sitze hier und kümmere mich herzlich wenig um Welm und seine Dinge, ausser sie kommen in der Form von Zetteln zu mir. Tritt dieser Fall ein, ordne ich diese ein und komme so darauf, was ihr Inhalt ist. Nur mit den Auto? Da ist nichts in all meinen Zetteln. Einen Zettel, der mir etwas von Welm und einem Auto etwas sagt, den habe ich nicht. Du wirst nicht darum herum kommen, auf den Posten zu gehen, um dir selber ein Bild darüber zu machen, was mit dem Auto ist.“
„Warum spielt Welm nicht einfach Schach! Wir hätten dieses Problem nicht. Nun muss ich wegen dieses Autos auf den Posten. Ich will sein Auto nicht, brauche also auch nicht auf den Posten zu gehen. Ich bin nicht zuständig für Welms Auto.“
„So etwas hat ja auch niemand behauptet, hier. Vielleicht hat die ganze Geschichte mit dem Posten auch gar nichts mit dem Auto von Welm zu tun. Das weiss man nicht. Das mit dem Auto hat Ida gesagt. Auf dem Posten wird man dir möglicherweise etwas anderes sagen. Damit du aber weist, was los ist, musst du auf den Posten gehen und dich nicht durch Ida und ihre Autos aufhalten lassen. Auf dem Posten herrscht jene Ordnung, die du vom Schachbrett kennst. Auch auf dem Posten ist alles Hierarchie. Alles hat seinen festen Platz. Das wird dir gefallen. Es ist nicht wie hier, wo auf einmal ein Autor herein fährt, das Welm gehört. Dieser Raum hat auf den ersten Blick gesehen keine fest gefügte Ordnung. Er ist voller Verstecke, die viele Dinge verborgen halten. Kein Wunder also, dass hier auf einmal von einem Auto die Rede ist, das in einem Zusammenhang mit Welm steht. Auf dem Posten wird man dir sagen, ob es rechtens war, dass dieses Auto hier aus seinem Versteck gefahren ist und sich, aus unserer Sicht, in die Geschichte Welms einmischte. Nur auf dem Posten wirst du das in Erfahrung bringen. Hier musst du aufpassen, hier hat es noch viele Verstecke! Und wenn du noch lange hier bleibst, dann werden mit Sicherheit noch ganz vielerlei wunderliche Dinge aus den geheimen Löchern an den Tag kommen und Welms Geschichte mit Absonderlichkeiten anreichern. Er lebt ja von solchen Geschichten. Wenn du noch lange hier bleibst, dann wirst du, je länger du da bist, desto weniger einen Strich von Ordnung wahrnehmen können und noch weniger verstehen, was mit Welm ist. Darum, geh hin, solange du noch bei Verstand bist und Ordnung in deinem Schach hast. Die Geschichten um ein Auto verwirren nur. Bisher fehlt dir nur ein Stein. Geh, sonst wird das Auto dir einen weiteren vom Brett holen.“