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ag Augenblick

Mit der Küche hatte Kabar Extas bereits viel Zeit vertan. Es wollte einfach nicht damit vorwärts gehen, was den Gang zu Welm betraf. Der wartete vermutlich bereits eine Ewigkeit, und noch immer hielt sich der zur Hilfe georderte Kabar Extas in seiner Wohnung auf.
Ihn packte langsam das schlechte Gewissen. Er musste sich sputen. Sonst konnte es geschehen, dass die Gegenseitige, das Amt, annahm, er nähme den Hilferuf nicht ernst. Die Folge: Er selber würde wegen unterlassener Hilfeleistung, so das Gesetz, zur Rechenschaft gezogen und gebüsst werden.
Kabar Extas wandte sich entschlossen vom Geschirr ab und verliess schnellen Schrittes die Küche, in welche er kurz zuvor bei der Inspizierung der eigenen Wohnung, geraten war. Sein Tatendrang verhinderte, dass er sich ein weiteres Mal Hindernisse in den Weg legte, indem er die Wohnung durchquerte. Vielmehr begab er sich schnurstracks zum Eingang. Er angelte eine Weste vom Kleiderhaken neben der Tür, zog sie über, schlüpfte in die Schuhe, schnürte diese und klopfte schliesslich den Stoff über den Knien ab in der Annahme, beim Herumkriechen nach der Figur habe diese Stelle an der Hose Staub aufgenommen. Dann öffnete Kabar Extas die Wohnungstür, verliess das Haus nicht ohne ordentlich abzuschliessen. Als gewissenhafter Schachspieler hatte bei ihm alles seinen Platz. Niemand sollte in seiner Abwesenheit Hand an das Spiel legen, das sich nach wie vor auf dem Tisch befand, und die Aufstellung der Figuren ändern, auch wenn ein solche fehlte. Das Spiel musste weiter gehen, Ausnahmezustand hin oder her. Mit oder ohne Welm.
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Jeder Spieler weiss es: Der direkte Weg zum Ziel ist nicht notwendigerweise der beste. Er kann zum Ziel führen, an allen Hindernissen vorbei, und damit zum Erfolg. Er ist aber ohne Spannung und Phantasie und damit langweilig. Erst wer richtig zu spielen weiss, erst wer es versteht, Strategien gekonnt zu entwickeln, vermag das Spiel in jene Sphären zu führen, die unendlich Lust verschaffen und Sucht erzeugen. Die Befriedigung wächst mit jedem Sieg. Viel versprechend sind darum die verschlungenen Pfade, die zu immer neuen Kämpfen führen, welche ausgefochten werden müssen.
Der Genuss liegt in der Vielfalt der Wege, welche die Schachfiguren auf dem Brett zurücklegen. Verwirrend sind jene Züge, die, in den Augen des Gegners anscheinend sinnlos gezogen, der Spieler nach einem genau ausgerechneten Plan zieht und der eigentlich nichts anders bezweckt, als das Spiel in die Länge zu ziehen, um die Sinnesfreude zu erhöhen. Jeder gelungene Zug, an dem sich der Spieler ergötzt, dient der eigenen Libido. Letztere ist nicht eigentlich das Ziel des Schachspiels, sondern das Matt, das Ende. Doch dieses Ende, der Tod, ist ein Punkt, der nicht unbedingt vorschnell erreicht werden muss. Wer die nötige Kraft besitzt, wird, bis er dieses Ziel erreicht, all jene Wege einschlagen, die ihm vom Ende fernhalten. Er macht sich nicht das Ziel zum Ziel, aber das Spiel. Jeder neue Weg ist ihm willkommen, der ihn im Spiel, am Leben hält.
Schach ist Sport – mit Recht. Im Sport gibt es zwei Möglichkeiten, um zum Ziel zu gelangen. Es gibt jene Sportler, die haben kurz vor dem Ziel noch so viel Kraft, dass sie ihre Leistung vor der letzten Anstrengung noch einmal zu steigern vermögen. Sie schaffen sich so vor dem Ende einen Freiraum, in welchem sie ihre überschüssige Energie zur Mehrung des eigenen Ruhmes einsetzen können, Kapriolen schlagen etwa oder frech wie ein Knabe einen Blick zurück werfen auf jenen, der als zweiter ins Ziel laufen wird. Und trotzdem bleibt ihnen der Sieg sicher. Sie unterscheiden sich so deutlich von jenen, die aufgrund der angeschlagenen Kraftreserven nicht den Weg zum Ziel als Ziel haben, sonder ausschliesslich das Ziel als Endpunkt ihrer Qualen. Letztere sind froh, wenn sie mit den letzten ihnen zur Verfügung noch stehenden Kräften die Ziellinie überhaupt erreichen, sofern sie nicht bereits vorher mit brennender Lunge und schmerzenden Muskeln zusammenbrechen oder nicht schon zuvor mit gebrochenen Knochen liegen geblieben sind.
Letztere sagen sich: Ach, bin ich froh, wenn ich das Ziel überhaupt noch erreiche. Sie konzentrierten ihre ganze Kraft, die ganze Aufmerksamkeit, die sie dem eigenen Körper zuwenden, auf das eine Ziel, die Linie am Ende des Parcours. Der Weg, der kann ihnen dabei gestohlen bleiben. Ob auf oder ab, der Weg ist sich bei jedem Rennen gleich. Keine Variation. Der Weg ist die vorgegebene Strecke vom Start zum Ziel. Der Weg bleibt dabei auf der Strecke; nicht nur dann, nachdem das Ziel erreicht ist und der Weg nicht einmal als Erinnerung das Rennen überlebt.
Jenem aber, der die dazu nötige Kraft mitbringt, um den Weg nicht nur als vorgegebene Linie zwischen Start und Ziel zu erfahren, sondern auf diesem Weg Leistung als Leichtigkeit in einer weiten Umgebung erfährt, dem gedeiht die Anstrengung zur Freude. Er eilt dahin, ohne dass man ihm den sportlichen Kraftaufwand ansieht, der anderen die Zunge bis zum Boden hängen lässt. Erstere sagen sich: Es wird ein schönes Spiel. Kabar Extas sagte sich: Ich habe genug Kraft, um das Spiel mit Welm durchzustehen. Aus diesem Grund wählte Kabar Extas nicht den direkten Weg zum Posten, sondern entschied sich als elegante Variante für den kleinen Umweg über den Steg.
Und dieser führte ihn schnurstracks zum Cafè zur Konterkariert. Er ging des Namens wegen dorthin. Im Lokal war alles alles andere als kariert. Es hob sich also deutlich von einem Schachbrett ab.

Fortsetzung

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